Obdachlose, Wohnungslose, Menschen von der Straße. Wer sind sie, die in den Straßen unserer Städte leben? Anlässlich des Welttags der menschlichen Brüderlichkeit am 4. Februar möchten wir Ihnen eine andere Perspektive bieten. Dieser Tag wurde 2020 von der UNO ins Leben gerufen, um den interreligiösen Dialog, den Frieden und die Solidarität zwischen den Völkern zu fördern.
📷 Frank Bruynbroek
Oft denkt man bei Obdachlosen an das Bild eines Bettlers, der Alkohol oder Drogen konsumiert hat und in der Innenstadt „stört“. Doch hinter jeder Person verbirgt sich eine Lebensgeschichte voller Rückschläge, Verletzungen oder Krankheiten. Trennungen in Partnerschaften, der Verlust des Arbeitsplatzes oder ein „Schicksalsschlag“ können dazu führen, dass Menschen in Schwierigkeiten geraten. Und wenn man kein stabiles familiäres oder freundschaftliches Umfeld hat, können sich die Probleme häufen und schließlich auf die Straße führen.
Lebensgeschichten
Da ist Francis, der bei seiner Geburt verlassen wurde, seine Jugend in einem Internat verbrachte, psychische Probleme entwickelte und nicht in der Lage ist, sein Geld zu verwalten. Er pendelt zwischen einer Unterkunft, die er selbst findet, und der Straße. Da ist Mustafa, ein Papierloser, der auf der Straße wie jeder andere aussieht. Da ist Piotr, ein begeisterter Leser, der fünf Sprachen beherrscht, aber mit psychischen Problemen zu kämpfen hat.
Natürlich gibt es auch Menschen, die durch Alkohol, Drogen oder das Leben auf der Straße gezeichnet sind und von der Gesellschaft als „verloren“ angesehen werden. Alle werden im Sozialrestaurant Kamiano (ein Name, den die Leprakranken auf Molokai Pater Damian gaben) der Gemeinschaft Sant’Egidio in Lüttich aufgenommen. Neben ihnen kommen auch isolierte ältere Menschen und Menschen in großer Armut hierher, denn Einsamkeit ist eine der großen Formen der Armut in unserer heutigen Gesellschaft.
Bei Kamiano kommt jeder so, wie er ist – mit seinen Freuden und Sorgen, seiner Wut und seinen glücklichen Momenten. So wie Ufuk, der mit dem Schlüssel zu seiner neuen Wohnung kommt, nachdem er drei Jahre auf der Straße gelebt hat. Freiwillige übernehmen den kostenlosen Essensservice, denn Kamiano wird von evangelischer Solidarität getragen. Neben dem Service nehmen sich die Freiwilligen auch Zeit, um die Menschen kennenzulernen und Bindungen zu schaffen, die für viele eine Rettungsleine bedeuten – das Gefühl, für jemanden wichtig zu sein.
Weihnachten: Ein festliches Bankett
An Weihnachten versammelten sich alle in der Kirche Saint-Barthélemy in Lüttich zu einem Festmahl. Mehr als 200 Menschen verbrachten einen unvergesslichen Abend, umgeben von 80 Freiwilligen. Schnell wusste man nicht mehr, wer servierte und wer bedient wurde. Es war eine große Familie, die sich zur Feier der Geburt Jesu versammelte – für den in der Herberge kein Platz war. Heute werden die Kleinsten in der Kirche empfangen. Das ist der Sinn der menschlichen Brüderlichkeit, wie ihn Papst Franziskus immer wieder betont.
Als Frau oder Mann mit Würde anerkannt zu werden, ist wichtig, denn ein Mensch ist mehr als sein äußeres Erscheinungsbild oder seine Armut. Kamiano funktioniert hauptsächlich durch Spenden. Eine kleine oder große Spende ermöglicht es, Mahlzeiten zu finanzieren, die zweimal pro Woche serviert werden. Ein Kreislauf der Solidarität kann das Leben verändern – mehr, als man denkt.
F.D.